Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK)
am 22./23. Mai 2025 in Hamburg
TOP 7.1 Jugendarbeit stärken – Für einen demokratischen Diskurs
Antragsteller BW, BB, HB, HH, HE, MV, NI, NW, RP, SL, SN, ST, SH, TH
Beschluss:
Die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) fasst folgenden Beschluss:
1.
Eine funktionierende Demokratie braucht alle Bürgerinnen und Bürger – gerade auch die junge Generation –, um demokratische Werte zu leben und zu verteidigen. Hierbei kommt der öffentlichen und freien Jugendarbeit eine bedeutende Rolle zu. Sie ist ein unverzichtbares soziales Infrastrukturangebot für das Aufwachsen junger Menschen jenseits von Familie und Schule. Jugendarbeit bietet jungen Menschen im besten Sinne Entwicklungsräume. Sie unterstützt Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer Orientierungssuche u. a. nach demokratischen und solidarischen Werten. Die Angebote der Jugendarbeit ermöglichen Erfahrungsräume für Selbsterprobung und demokratische Praxis (4)
2.
Die JFMK nimmt mit Besorgnis aktuelle Jugendstudien
(5) zur Kenntnis, die zeigen, wie sehr rechtsextreme, demokratie- und menschenfeindliche Haltungen zum Teil auch bei jungen Menschen verfangen. Sie sieht den Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe und im Besonderen der Jugendarbeit mehr denn je darin, junge Menschen in der Entwicklung zu eigenverantwortlichen und kritikfähigen Bürgerinnen und Bürgern, mit einem Urteilsvermögen über gesellschaftliche und politische Zusammenhänge in einer demokratischen Gesellschaft, zu unterstützen.
3.
Die JFMK beobachtet, dass Träger und Fachkräfte der Jugendarbeit sowie Ehrenamtliche und jugendpolitische Gremien vor Ort (u. a. Jugendbeteiligungsgremien etc.) zunehmend mit demokratie- und menschenfeindlichen Überzeugungen von Vertreterinnen und Vertretern rechtsextremistischer Positionen konfrontiert werden.
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(4) vgl. §§ 1, 11 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) (5) u. a. Trendstudie „Jugend in Deutschland“, Shell-Jugendstudien
Ein „Vorwurf“, den diese Seite erhebt, ist, dass Träger, Fachkräfte, Ehrenamtliche und Jugendgremien gegen ein sogenanntes „Neutralitätsgebot“ verstoßen. Aus Sicht der JFMK ist ein sogenanntes Neutralitätsgebot verfassungsrechtlich nicht normiert. Die Vorgaben des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) können nicht auf ein sogenanntes Neutralitätsgebot reduziert werden, sondern sind im Zusammenhang mit anderen verfassungsrechtlichen Geboten einzuordnen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Menschenwürde, der Wesensgehalt der Grundrechte und die sogenannten Strukturprinzipien (Demokratie-, Sozialstaats- und Rechtsstaatprinzip einschließlich Gewaltenteilung), die als unveränderliche Grundsätze in der Verfassung festgeschrieben sind (vgl. Art. 1 bis 20 GG, insb. Art. 19 Abs. 2 GG sowie Art. 79 Abs. 3 GG).
Neutralität im Sinne der Verfassung bedeutet Unparteilichkeit, nicht aber Wertefreiheit oder gar Positionslosigkeit. Positionen und Äußerungen außerhalb demokratischer Werte müssen durch Träger und Fachkräfte der Jugendarbeit als solche aufgezeigt und entsprechend behandelt werden. Das kann auch den Ausschluss von Vertreterinnen und Vertretern solcher Haltungen beinhalten – auch zum Schutz von jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die ggf. von entsprechenden Äußerungen und Handlungen negativ betroffen sind.
4.
Die JFMK bekennt sich zur besonderen Bedeutung der Jugendverbandsarbeit auch für die außerschulische Bildung. Durch öffentliche Institutionen ist deren eigenverantwortliche Tätigkeit und ihr satzungsgemäßes Eigenleben auch bei der Förderung ihrer Arbeit zu achten. Die Jugendverbände gestalten ihre Jugendarbeit selbstorganisiert und gemeinschaftlich. Dazu gehört auch das Recht, sich öffentlich politisch zu positionieren. Sie können entsprechend entscheiden, welche Parteien sie zu ihren Veranstaltungen einladen bzw. bei ihren Veröffentlichungen einbeziehen.
5.
Um Orientierung für Träger, Fachkräfte und Ehrenamtliche der Jugendarbeit sowie für Jugendgremien zu geben, erklären die Jugend- und Familienministerinnen, -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder:
5.1
Erfolgreiche demokratische Jugendarbeit ist entsprechend der Werte des Grundgesetzes und der darin garantierten Rechte ausgerichtet. Dabei sind Offenheit, Vielfalt und Pluralität, Kontroversität, Befähigung zur eigenständigen Orientierung sowie ein Indoktrinationsverbot in der Jugendarbeit Arbeitsmaxime.
Sie dürfen nicht durch Forderungen nach politischer Neutralität gefährdet bzw. in Frage gestellt werden. (6)
5.2
Die JFMK spricht sich deshalb dafür aus, den irreführenden Begriff eines sogenannten Neutralitätsgebots auf seine Sachgemäßheit nach Art. 21 GG zurückzuführen und als solchen im Zusammenspiel aller verfassungsrechtlichen Gebote auszulegen. Das entschiedene Eintreten gegen Aussagen und Handlungen, die mit Demokratie sowie Grund- und Menschenrechten nicht vereinbar sind, ist Aufgabe öffentlicher und freier Jugendarbeit. Damit kann Jugendarbeit nie „neutral“ sein, sondern basiert auf Werten, die das GG und demokratische Prinzipien vorgeben.
5.3
Öffentliche Träger unterliegen verfassungsrechtlichen Geboten, wie dem Gebot der Chancengleichheit der Parteien. Diese Gebote fordern Unparteilichkeit jedoch keine Wertneutralität und Positionslosigkeit. Den öffentlichen Trägern obliegt dabei auch, die freien Träger zu unterstützen und ihnen Handlungssicherheit zu geben.
5.4
Freie Träger der Jugendarbeit sind „Grundrechtsträger“ (u. a. der Meinungs-, Religions- und Kunstfreiheit) und verlieren diesen Status auch dann nicht, wenn sie durch öffentliche Gelder gefördert werden. Ihnen steht ein weiter Spielraum in Bezug auf politische Positionierung zu. Sie sind demnach auch nicht grundsätzlich verpflichtet, Positionierungen von Parteien im Rahmen ihrer Arbeit aufzugreifen und darzustellen oder Parteien und Gruppen in Veranstaltungen und Veröffentlichungen einzubeziehen.
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(6) vgl. sinngemäß auch Beutelsbacher Konsens