Arbeitsprinzipien und Regeln der Offenen Kinder- und Jugendarbeit
Die Frage nach den Arbeitsprinzipien der offenen Kinder- und Jugendarbeit kann aus unterschiedlichen Perspektiven beantwortet werden. Sie hält zum einen eine Fülle von Angeboten vor, wobei sich historisch ein bestimmter Katalog von Maßnahmen oder Angebotsformen herausgebildet hat; zum anderen können Einrichtungstypen voneinander unterschieden werden. Drittens verweist die Frage auf spezifische professionelle Handlungsmuster. Gleichsam übergreifend können „Strukturmaximen“ beschrieben werden, d.h. allgemeine Grundlagen wie Freiwilligkeit, Mitbestimmung, Selbstorganisation und Geschlechterdifferenzierung, die jeder zu beachten hat, der - mit welchen Angeboten, in welchen Einrichtungen und mit welchen Handlungsorientierungen auch immer - offene Kinder- und Jugendarbeit anbieten will. Der Blick auf die offene Kinder- und Jugendarbeit aus diesen unterschiedlichen Perspektiven ordnet sozusagen das häufig chaotisch anmutende Arbeitsfeld für Außenstehende. Sie dienen auch als Leitlinien für die Selbstreflexion der MitarbeiterInnen, geben also Orientierung.
1. Perspektive Angebote
Im Mittelpunkt der offenen Kinder- und Jugendarbeit steht der offene, frei zugängliche Raum, der „offene Betrieb“, oder wie es C.W. Müller einmal ausgedrückt hat: ihre „Anspruchslosigkeit“. D.b., dass Kinder und Jugendliche kommen und gehen können, wann sie wollen, dass sie tun und lassen können, was sie wollen, solange sie niemand anderen stören. Seinen „Raum“ findet das sogenannte „offene Angebot“ in der Regel im Café des Jugendhauses und im benachbarten Zimmer, in dem Billard und Kicker stehen. Die Kinder und Jugendlichen können sich Gesellschaftsspiele ausleihen und in vielen Einrichtungen stehen inzwischen einige Computer mit Zugang zum Internet, entweder mitten in besagten Café, oder aber im separaten Internet-Café. Daneben kommt es auch heute noch vor, dass Jugendliche auftauchen, die die Holzwerkstatt nutzen wollen oder die in einigen Einrichtungen vorhandenen Schraubenschlüssel und Wagenheber, um das eigene Fahrrad, Mofa oder Auto wieder in Schuss zu bringen. In vielen Einrichtungen gibt es Übungsräume für Bands und Break-Dancer.
In diesem Sinn ist eine Einrichtung der offenen Kinder- und Jugendarbeit eine Ressource, die den Kindern und Jugendlichen frei zur Verfügung steht, sieht man einmal ab von kleineren Beträgen, die für das Surfen bezahlt werden müssen, oder vom Pfand, das an der Theke für die Queues hinterlegt werden muss. Entgegen anders lautender Gerüchte gibt es viele Einrichtungen in Baden-Württemberg, die in dieser Weise von zahlreichen Kindern und Jugendlichen genutzt werden. Häufig kommen sie aus Familien, wo im Keller des Eigenheims eben keine gut ausgestattete Hobbywerkstatt steht und der eigene Computer incl. Zugang zum Netz noch in weiter Ferne steht. Das Zimmer muss mit Geschwistern geteilt werden, so dass kaum eine Chance besteht, sich dort mit seinen Freunden ungestört treffen zu können. Dass dieser offene Betrieb die Grundlage der Arbeit ist, zeigt die Geschichte: Überall dort oder immer dann (solche Phasen gab es), wo dieser offene Betrieb eingeschränkt wurde, bröckelte die Zahl der BesucherInnen kräftig ab.
Sozusagen angedockt an diesen „offenen Betrieb“ gibt es zahlreiche Angebote. Turniere, Ausflüge, gemeinsames Kochen, Sport, Disco, Filmvorführungen oder Konzerte zielen auf eine abwechslungsreichere Freizeit der Kinder und Jugendlichen. Andere Angebote richten sich an bestimmte Zielgruppen oder an Kinder und Jugendliche mit besonderen Interessen. Hierzu zählt der Mädchentag oder die Mädchengruppe, immer häufiger auch die Jungengruppe, die Segel- oder Skifreizeit für SpätaussiedlerInnen, die Nähgruppe für muslimische Mädchen, der Gitarrenkurs oder die Arbeitsgruppe für die Website des Jugendhauses. Eine dritte Form der Angebote zielt auf die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen bei besonderen Problemstellungen. In vielen Einrichtungen gibt es eine Hausaufgabenhilfe, Computerkurse mit Programmen in russischer oder türkischer Sprache und vielfältige Angebote für die Bewältigung der für viele Jugendliche immer höher werdenden Schwelle zwischen Schule und Berufsausbildung. „Geordnet“ werden können die Angebote der Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit auch im Hinblick darauf, ob sie selbst oder in Kooperation mit anderen Organisationen organisiert und durchgeführt werden. Zusammengearbeitet wird vor allem mit den Schulen, aber auch mit Vereinen und mit anderen Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit in der jeweiligen Region.
Aus der Perspektive der „Angebote“ können daher der „offene Betrieb“, daran angedockte Maßnahmen mit freizeitpädagogischem Charakter für alle oder für besondere Zielgruppen, Programme zur Unterstützung der BesucherInnen, sowie Kooperationen als Arbeitsprinzipien der offenen Kinder- und Jugendarbeit betrachtet werden.
2. Perspektive Einrichtungen
Diese Struktur spiegelt sich wider, wenn man die unterschiedlichen Einrichtungstypen betrachtet, die sich unter dem gemeinsamen Dach „offene Kinder- und Jugendarbeit“ in den vergangenen 35 Jahren ausdifferenziert haben. Zunächst gibt es inzwischen zielgruppenspezifische Einrichtungen, insbesondere Mädchentreffs, für Kinder Spielhäuser, mobile Angebote wie Spielmobile sowie Jugendfarmen und Aktivspielplätze, die sich ursprünglich aus Elterninitiativen in den 70er Jahren entwickelt haben. Daneben gibt es Häuser, die sich auf besondere Angebote konzentrieren, beispielsweise Kultur- oder Medienzentren sowie „Musikwerkstätten“. Es gibt Einrichtungen, die stadtteilbezogen arbeiten und solche, die vor allem in größeren Städten stadtteilübergreifende Angebote machen. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal liegt darin, ob hauptamtliches Personal beteiligt oder die Einrichtung „selbstverwaltet“ ist, also von aktiven Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst betrieben wird. Als eine Zwischenform hat sich in den vergangenen Jahren v.a. im ländlichen Bereich und in kleineren, eingemeindeten Stadtteilen die im Prinzip selbstverwaltete (oder besser: selbstorganisierte) Einrichtung herausgebildet, wo die Aktiven kontinuierlich von einem bezahlten Pädagogen oder einer Pädagogin beraten und unterstützt werden.
Auch diese Unterscheidungen verweisen auf die Arbeitsprinzipien „Ressourcen zur Verfügung stellen“, über Angebote Raum für die Realisierung oder die Entwicklung von Interessen bei Kindern und Jugendlichen zu geben und besondere Zielgruppen zu unterstützen. Sie verweisen aber auch auf ein weiteres Prinzip: Aufgabe und insofern Arbeitsprinzip offener Kinder- und Jugendarbeit ist es, Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten zum Engagement zu geben, die sich auf deren Interessen beziehen. Denn das Spektrum dieser Möglichkeiten ist prinzipiell „offen“, es orientiert sich nicht an einem vorgegebenen Zweck, beispielsweise am Vereinszweck „Fußball spielen“ oder „Spuren lesen“. Alles, was sich aus dem Umgang, aus der Kommunikation mit den Jugendlichen als mögliches Interesse ergibt, kann und darf prinzipiell aufgegriffen werden. Oder im Fachjargon: Die Inhalte der offenen Kinder- und Jugendarbeit ergeben sich aus einem Aushandlungsprozess v.a. zwischen Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und PädagogInnen auf der anderen. Natürlich bricht sich diese Offenheit häufig an Ansprüchen, die der Träger und/oder Geldgeber geltend machen, und an den realen räumlichen, personellen und finanziellen Möglichkeiten der einzelnen Einrichtungen.
3. Perspektive professionelles Handeln
Als „Professionellen“ bezeichnet man einen Menschen, der etwas kann, was andere Menschen üblicherweise nicht können da zur Ausübung dieser Tätigkeiten eine besondere Ausbildung und Erfahrung notwendig sind. Kinder- und JugendarbeiterInnen ringen auf diesem Hintergrund seit jeher darum, dass ihre Professionalität gesellschaftlich anerkannt wird. Was JugendarbeiterInnen tun, bleibt bisher in den Augen vieler (auch) KommunalpolitikerInnen etwas, was jeder halbwegs verständige Erwachsene eigentlich auch auf die Reihe bekommen kann. Andererseits fällt es den JugendarbeiterInnen oft genug auch nicht leicht, ihre Professionalität, also die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten, auf denen ihr alltägliches Handeln gründet, für Außenstehende durchschaubar zu machen.
Dies hat viel mit der Heterogenität oder auch dem Chaos des Arbeitsfeldes zu tun. JugendarbeiterInnen sind nicht nur PädagogInnen, sondern auch Organisatoren, VeranstaltungsmanagerInnen, KoordinatorInnen, Verwaltungsleute etc.. Von daher gibt es die unterschiedlichsten Vorstellungen von Professionalität in der offenen Kinder- und Jugendarbeit, die Burkhard Müller vor Jahren zu einem Bild mit zwei extremen Gegenpolen verdichtet hat: Es gibt auf der einen Seite das Modell des „Siedlers“, auf der anderen Seite das des „Trappers“.
Der „Siedler“ versucht danach, im Urwald der Jugendarbeit eine Lichtung zu roden. Sie ist z.B. Spezialistin für Mädchen, er für Medienpädagogik. Die damit jeweils zusammenhängende Arbeit im Jugendtreff, Jugendhaus oder Jugendzentrum wird strukturiert geplant, durchgeführt und weiterentwickelt, alles andere wird sozusagen nebenbei erledigt. Hier auf dieser Lichtung erweist er oder sie sich als Experte oder Expertin, hier kann Perfektion erwartet werden, hier werden Leistungen erbracht, die nach außen argumentativ dargestellt werden können. Was hier passiert, ist erkennbar abhängig von der Ausbildung und der Erfahrung des jeweiligen Hauptamtlichen. Der Siedler orientiert sich also am gängigen Professionalisierungskonzept, an den dafür gültigen Arbeitsprinzipien, er oder sie ist ExpertIn für eine bestimmte Sache. Dies muss nicht bedeuten, dass man den Kindern und Jugendlichen nicht auch Raum für eigene Experimente und Erfahrungen lässt, wie es ExpertInnen üblicherweise tun. Dennoch haben auch solche pädagogischen SpezialistInnen letztlich „alles“ unter Kontrolle.
Der Boden, auf dem sich der „Trapper“ bewegt, ist dagegen sehr viel schwankender. Er ist bemüht, sich im gesamten, chaotisch anmutenden Feld „sicher zu bewegen, und hier mit Augenmaß die bestmöglichen Wege und das jeweils Machbare herauszufinden“ (Burkhard Müller). Der Trapper weiß, dass er nicht alles ständig unter Kontrolle halten kann, was sich in seinem Haus oder auf dem Spielplatz abspielt, „und dennoch in jedem Moment zu entscheiden fähig ist, was als nächstes zu tun ist.“ Der Trapper weiß, dass seine Fähigkeiten im Verhältnis zu den Anforderungen begrenzt sind, aber er ist bereit, „die Grenzen dessen, was möglich ist, auszuloten.“ Der Trapper entwickelt zwar Konzeptionen, weiß aber, dass ihm jederzeit ein Strich durch die Rechnung gemacht werden kann. Und er kann darauf angemessen reagieren. Sein Arbeitsprinzip ist nicht oder nicht in erster Linie die Umsetzung vorab definierter Ziele, vielmehr bemüht er sich wahrzunehmen, was im Haus läuft und welche Möglichkeiten sich daraus ergeben. Trapper versuchen durch die aktive Gestaltung der Rahmenbedingungen (insbesondere der Räume), diese Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche zu erweitern.
Das - zugegeben extreme - Bild vom Siedler oder Trapper gibt also den Blick frei auf unterschiedliche professionelle Handlungsverständnisse, die wiederum auf unterschiedliche Arbeitsprinzipien verweisen.
4. Strukturmaximen der offenen Kinder- und Jugendarbeit
Unabhängig davon, ob man sich bei der Reflexion über die eigene Arbeit an Angeboten, den unterschiedlichen Einrichtungstypen oder am professionellen Handlungsverständnis orientiert, immer gelten zumindest drei grundlegende (Arbeits-)Prinzipien, bei deren Nichtbeachtung JugendarbeiterInnen abgestraft werden. Wer diese „Strukturmaximen“ nicht beachtet, dem laufen die Kinder und Jugendlichen davon. Wo sie die Arbeit prägen, ergeben sich für die offene Kinder- und Jugendarbeit besondere Zugänge zu Kindern und Jugendlichen.
Alltagsorientierung
Offene Kinder- und Jugendarbeit nimmt für sich in Anspruch, dass sie sich an der „Lebenswelt“ ihrer BesucherInnen, bzw. ihrem „Alltag“ (Hans Thiersch) orientiert. Damit ist zunächst gemeint, dass sie selbstverständlich in Anspruch genommen werden kann (an mehreren Öffnungstagen), und dass die einzelnen Angebote oder Einrichtungen in überschaubare Sozialräume eingebettet sind. JugendarbeiterInnen nehmen ihre BesucherInnen so, wie sie sind. Ihre Bedürfnisse und Interessen spielen eine wesentliche Rolle. Zumindest innerhalb gewisser Grenzen bleibt es den Kindern und Jugendlichen überlassen, wie sie sich verhalten, was sie denken, was und wie sie reden, worauf sie sich einlassen und worauf nicht, wann sie dies tun und wann sie es bleiben lassen. Abgesehen von einigen eher abstrakten Leitideen - z.B. Toleranz, Gewaltfreiheit - gibt es keine Vorgaben, stellt offene Kinder- und Jugendarbeit an ihre BesucherInnen keine Ansprüche. Die PädagogInnen sehen die Kinder und Jugendlichen ganzheitlich, d.h. in ihren Cliquen oder in ihren komplexen sozialen Zusammenhängen. Sie sehen sie als Jungen oder Mädchen (Geschlechterdifferenzierung) und als Einheimische oder MigrantInnen. Wo Schwierigkeiten deutlich werden, wird keine Therapie oder eine eng auf das jeweilige Problem zugeschnittene Beratung angeboten. Die Aufmerksamkeit richtet sich vielmehr auf ganz unterschiedliche Aspekte: Auf den Jugendlichen selbst, seine Clique, sein familiäres Umfeld, die Schule oder die Ausbildung, etc..
Das Ziel offener Kinder- und Jugendarbeit ist, ihre BesucherInnen bei der Realisierung eines „gelingenderen Alltags“ zu unterstützen. „Alltag“ im Sinne von Hans Thiersch ist mehr als die Beschreibung des Selbstverständlichen, meint weitaus mehr als „über die Runden kommen“. Alltag ist zugleich ein theoretischer wie auch normativer Begriff. Für Hans Thiersch konstituiert sich der Alltag eines Menschen in Selbstverständlichkeiten, Routinen, im Vertrauten und Bekannten. Alltag erscheint dem Menschen so als eine Welt, in der er sich souverän bewegen kann, die er beherrscht, an der er festhalten will, da sie ihm Orientierung gibt oder zu geben scheint.
Einerseits braucht jeder Mensch diese vertraute Welt, andererseits behindert sie ihn in seiner Entwicklung. Gelingender Alltag bedeutet daher, sich von diesen Routinen auch zu verabschieden, den Mut zu finden, sich auf neues Terrain zu begeben, sich auch von seiner Neugier, seinen Träumen leiten zu lassen. Die offene Jugendarbeit hat zur Aufgabe, Kinder und Jugendliche immer wieder zu solchen Abschieden herauszufordern - durch die Person des Jugendarbeiters, in Auseinandersetzungen, durch das Arrangement in der Einrichtung oder durch gezielte Angebote.
Offen und freiwillig
“Offenheit“ bezieht sich auf Zielgruppen und (C.W.Müller) auf die “Anspruchslosigkeit“ der offenen Kinder- und Jugendarbeit gegenüber den BesucherInnen, also auf den Verzicht darauf, den Besuch einer Einrichtung an einen bestimmten Zweck zu binden. Die Kinder und Jugendlichen kommen freiwillig, wann und wie lange sie wollen. Sie können gehen und kommen, sich in Szene setzen, mitmachen oder abwarten. Jugendhäuser bieten also Raum für - traditionell formuliert - zwanglose Geselligkeit. Wo diese eingeschränkt wird, bleiben - so zeigt es die Geschichte - die BesucherInnen weg.
Mit dieser „Anspruchslosigkeit“ sind hohe Ansprüche verbunden. Die Kinder und Jugendliche müssen sich entscheiden, sie müssen sich in diesen Räumen bewegen lernen und sie müssen aktiv werden, wenn sie nicht in der Langeweile ertrinken wollen. Man kann das Jugendhaus als Raum beschreiben, der zu neuen Erfahrungen geradezu nötigt, sofern hier Jugendliche aus unterschiedlichen Milieus aufeinander treffen, die zumindest miteinander zurechtkommen müssen.
Selbstorganisation und Partizipation
Dass die Jugendarbeit - auch offene - auf eine lange Tradition in Sachen Selbstorganisation und Partizipation zurückblicken kann, ist unbestritten. Erinnert sei hier nur an die selbstverwalteten Jugendzentren der 70er Jahre und an weitreichende Mitbestimmungsmodelle selbst in Einrichtungen etablierter Träger. Nach wie vor muss (oder darf) in Baden-Württemberg mehr als ein Viertel der Einrichtungen ohne hauptamtliches Personal auskommen. Zugegeben, es sind oft kleinere Häuser in ländlichen Regionen, aber nicht nur. In drei von vier Einrichtungen mit Hauptamtlichen beteiligen sich Jugendliche an der Organisation und Durchführung von Veranstaltungen, teilweise stehen sie auch einfach hinter der Theke. Vor allem Jugendliche eignen sich im Rahmen ihres Engagements eine Fülle von Fähigkeiten und Fertigkeiten an.
Selbstorganisation und Partizipation sind in einem doppelten Sinn wesentliche Charakteristika der Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Zum einen könnten sie ohne solche Ehrenamtliche kaum betrieben werden, auch dort, wo hauptamtliches Personal vorhanden ist. Zum anderen prägt dieses Engagement den Charakter der Einrichtungen. Eine Disco, die von Jugendlichen selbst vorbereitet und durchgeführt wird, verläuft anders, als wenn der Hauptamtliche hinter der Anlage sitzt. Es ist sinnlos, darüber zu klagen, dass Jugendliche in der Einrichtung nur konsumieren, wenn man ihnen nicht Möglichkeiten der Selbstorganisation einräumt. Der Versuch, Jugendliche allein als Handlanger zu rekrutieren, muss ebenfalls scheitern. Ohne handfeste Mitbestimmungsrechte ist solche Mitarbeit kaum tragfähig.
Natürlich bleibt die Arbeit mit Ehrenamtlichen ein mühsames Geschäft, denn man muss mit dem “Paradox“ umgehen (Benedikt Sturzenhecker), dass man dabei den Kids etwas zutrauen und zugestehen muss, was sie - aus der Sicht des Erwachsenen - gezwungenermaßen immer ein Stück weit überfordert. Konkret: Man muss in Kauf nehmen, dass vieles schief gehen kann.
5. Quer gedacht
Diese drei Strukturmaximen sind die Grundlage der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Wer an diesen Schrauben dreht, verändert nachhaltig den Charakter der Einrichtungen, setzt den besonderen Zugang der offenen Arbeit zu Kindern und Jugendlichen auf´s Spiel. Denn dieser Zugang gründet in deren Gefühl, dass sie ernst genommen werden, dass sie über sich selbst entscheiden können, und dass sie etwas zu sagen haben. Es sind daher die grundlegenden Arbeitsprinzipien der offenen Kinder- und Jugendarbeit, die sich historisch entwickelt haben.
Grundlegend sind sie aber auch in dem Sinn, dass sie bei der Gestaltung der Angebote, beim Zuschnitt der Einrichtungen und im Hinblick auf das professionelle Handlungsverständnis der JugendarbeiterInnen beachtet werden müssen. Gerade hier besteht immer die Gefahr, zu diesen Strukturmaximen in Widerspruch zu geraten. Zwangsläufig konterkariert man so die möglicherweise besten Absichten. Umgekehrt aber realisieren sich diese Strukturmaximen in Angeboten, in Möglichkeiten, Interessen zu entwickeln und ihnen nachzugehen, und schließlich werden sie auch vermittelt durch gutes professionelles Handeln.
Ständig muss also die Balance gefunden werden zwischen der verständlichen Neigung, den damit verbundenen Schwierigkeiten durch ein „Laissez faire“ zu begegnen, wie auch der ebenso verständlichen Neigung, sich durch „Vorgaben“ (Jugendliche brauchen klare Ansagen“) zu widersetzen. Das macht die „anspruchslose“ offene Kinder- und Jugendarbeit zu einem ausgesprochen anspruchsvollen Geschäft.